Diese Frage kommt vor allem bei Hunden auf, die Schwierigkeiten im Sozialkontakt mit anderen Hunden oder Menschen haben. Es betrifft also Hunde, die anderen drohen, aber vor allem auch ängstliche Hunde.
Ich versuche ja immer, komplizierte Begriffe in einfache Bilder zu übersetzten. Zum Thema Individualdistanz fällt mir ein Erlebnis aus Uni-Tagen ein. Um besser auf Kühe und Rinder eingehen zu können und deren Körpersprache besser zu lesen, durften wir Studenten an einem Seminar teilnehmen. Rinder können für Menschen nämlich sehr gefährlich werden, da es lebensgefährlich ist, wenn man hinfällt und die Rinder in Panik geraten. Kennt man vielleicht noch aus dem Film: „König der Löwen“.
Unverhofft wurde ich aufgerufen, um an einer praktischen Übung teilzunehmen. 10 Personen sollten sich einander jeweils zu zweit gegenüberstellen. Die fünf Personen auf der einen Seite durften dabei entscheiden, wie nah sie auf ihr Gegenüber zugehen. Sie sollten einen Abstand einnehmen, den sie als angenehm empfanden. Das Ergebnis war spannend, denn die Abstände zwischen den Personen waren sehr unterschiedlich. Der Abstand von mir zu der Studentin, die mir gegenüber stand, war im Vergleich zu den anderen Testpersonen relativ groß. Ein Team stand sehr sehr nah voreinander, die anderen Teams etwas weiter auseinander. Dann wechselten die Aufgaben, denn nun sollte das Gegenüber bestimmen, wie nah oder fern der Abstand sein sollte. Bei einigen Teams sah man deutlich Veränderungen, Abstände wurden sowohl verkleinert, als auch vergrößert. Daran sieht man, dass auch wir Menschen ein unterschiedliches Empfinden von Nähe und Distanz haben. Außerdem konnten wir schlussfolgern, dass Personen, die sich gut kennen, viel näher aufeinander zugehen, als sich fremde Personen.
Übertragen auf den Hund gilt das ganz genauso. In der Verhaltensbiologie beschreibt man eine Art Höflichkeitsabstand, auch Individualdistanz genannt. Wenn es um die Beschreibung von Konfliktsituationen geht, lassen sich zudem eine kritische Distanz, eine Droh- oder Wehrdistanz und eine Fluchtdistanz unterscheiden. Der Radius dieser Distanzen ist vom jeweiligen Hund abhängig. Auch seine Erfahrungen und Erlebnisse, ob er gerade gut oder schlecht gelaunt ist, wie gut er sozialisiert ist, aber auch die allgemeine Reizlage und weitere Faktoren spielen dabei eine entscheidende Rolle.
Was bedeutet das jetzt für uns im Training, wie viel Abstand braucht dein Hund?
Um dies zum Beispiel bei einem ängstlichen Hund entscheiden zu können, ist es so wichtig, die Körpersprache richtig lesen zu können. Ob eine Annäherung beispielsweise zur Flucht oder zum Angriff führt, kann man anhand vieler körpersprachlicher Signale erkennen.
Immer wieder erklären wir in unseren Welpen- und Junghundekursen, dass Hunde sich an der Leine NICHT „Hallo“ sagen müssen. Insbesondere, wenn unser Hund an der Leine geführt wird, sind wir als Menschen in der Verantwortung dafür zu sorgen, dass die Individualdistanz eingehalten wird und unser Hund an der Leine nicht bedrängt wird. Menschen, die dennoch darauf bestehen, dass die Hunde sich an der Leine begrüßen, können oftmals die Körpersprache nicht lesen und erkennen die Warnsignale des Hundes erst, wenn dieser knurrt oder bellt.
Hast du dir schon einmal bewusst gemacht, wie das Empfinden deines Hundes in Bezug auf die drei Distanzen ist? Braucht dein Hund grundsätzlich viel Abstand zu anderen Hunden, oder geht er in der Regel freundlich auf alle zu?